______________________________________________________________________________________________

 

Nervenschmerzen

 

 

Grundsätzlich können Schmerzen auf zwei verschiedene Arten zustande kommen:

  • Nozizeptorenschmerz: Hierunter versteht man die Aufnahme einer körperlichen Störung oder Schädigung mit Hilfe eines Rezeptors und Weiterleitung als Schmerzreiz über das Nervensystem zum Gehirn. Ein Rezeptor ist eine Art "Empfangseinrichtung" einer Zelle oder eines Organs bzw. Systems. Sie wird je nach der Art des zu registrierenden Reizes als z.B. Chemo-, Thermo-, Baro- (= den Blutdruck betreffender), akustischer oder taktiler (= den Tastsinn betreffender) Schmerz- Rezeptor bezeichnet.
  • Neuropathischer Schmerz (Nervenschmerz): Bei dieser Schmerzart ist das schmerzleitende System selbst gestört oder geschädigt, es liegt sozusagen ein "Nerveneigenschmerz" vor.

Nervenschmerzen können verschiedene Ursachen haben. Nachstehend werden entsprechend der aufgeführten Ursachen typische Krankheiten beschrieben und Behandlungsmöglichkeiten aufgezeigt:

  • 1: Mechanische Schädigung:

Nach einer Nervenverletzung kann es zu einer Kausalgie, neuerdings auch als CRPS Typ II bezeichnet, kommen. Das Krankheitsbild ist charakterisiert durch qualvolle, glühend-brennende Schmerzen der betroffenen Gliedmaße, auslösbar oder verstärkt schon durch leiseste Berührung ((evtl. auch entfernter Körperstellen (Synästhesalgie)), durch optische oder akustische Reize, Trockenheit (Xerosalgie), Wärme, Affekte oder bloße Schmerzvorstellung (Sympsychalgie). Meist bestehen ferner Störungen der Durchblutung u. der Hauttrophik (= Ernährungs-/Wachstumszustand der Haut).
Die Schmerzausbreitung ist unabhängig vom Innervationsgebiet (= Versorgungsgebiet eines Nerven), erfolgt evtl. auch auf die gegenseitige Gliedmaße (Alloparalgie). Im chronifizierten Stadium sind wiederholte Blockaden (= Betäubungen) des betroffenen Nervs mit einem langwirkenden Betäubungsmittel hilfreich, optimal sind kontinuierliche Blockaden mit Katheter (= eingepflanztem dünnen Kunststoffschlauch). Letztgenannte Maßnahme sollte aber nur stationär (Schmerzklinik) durchgeführt werden.

  • 2: Metabolische (= stoffwechselbedingte) Störungen oder Schädigungen

Diese verursachen den Nervenschmerz bei der Polyneuropathie. In der Praxis dominieren mit je einem Drittel der Fälle die alkoholische und die diabetische Genese (= Entstehung). In unklaren Fällen ist vor allem an exotoxische (= von außen zugeführte Gifte betreffend) Ursachen durch Medikamente sowie Gewerbegifte zu denken, daneben kommen endotoxische (= Gifte die im Körper selbst entstehen) (Porphyrie, Urämie) und evtl. infektiöse Ursachen (Borreliose nach Zeckenbiss) in Frage.
Die Patienten klagen über brennende Dauerschmerzen im Versorgungsgebiet peripherer (= mehr oberflächlicher) Nerven, Parästhesien (= Fehlempfindungen), Hyperästhesien und Hyperpathien (= gesteigerte Berührungsempfindlichkeiten), Druckschmerzhaftigkeit von Nerven und Muskeln sowie evtl. über motorische (= die Muskelfunktion betreffende) Reizerscheinungen (Crampi). Charakteristisch sind socken- bzw. handschuhförmige Sensibilitätsstörungen (= Störungen der Empfindlichkeit). Die Behandlung dieser Nervenschmerzen erfolgt in erster Linie kausal, also der Ursache entsprechend: bei Diabetes mellitus Optimierung der Zuckereinstellung, bei Polyneuropathie Verzicht auf "Nervengifte" wie z.B. Alkohol.

Symptomatische (= auf die Krankheitszeichen ausgerichtete) Therapie:
Thioctsäure (alpha-Liponsäure) führt zu einer Reaktivierung des Multienzymkomplexes und möglicherweise zur Bindung diabetischer Ketone.
Neurotrope Vitamine (= "Nervenvitamine"): Die mehr oder weniger hochdosierte Verabreichung neurotroper Vitamine ist bei Polyneuropathien allgemein üblich. Leider führt diese Therapiemaßnahme in den wenigsten Fällen zu einer Verbesserung.
Analgetika: Polyneuropathisch bedingte Nervenschmerzen sind in der Regel durch Schmerzmittel nur schwerlich günstig zu beeinflussen. Am ehesten ist noch ein Effekt von zentral wirksamen Analgetika (= Schmerzmittel die im Rückenmark / Gehirn wirken) zu erwarten. Aus diesem Grunde ist es nicht möglich, ein sicher wirksames Medikament zu empfehlen.

Wiederholte Nervenblockaden: Die wiederholte Blockierung (Betäubung) der korrespondierenden Nervenleitungen mit einem langwirkenden Lokalanästhetika hat sich bei Nervenschmerzen sehr bewährt.

  • 3: Eine Nervenschädigung oder -störung infolge einer Virusinfektion

 

 

Diese liegt bei der sog. Postzosterischen Neuralgie (Zoster-Neuralgie) vor. Vor- ausgegangen ist die Herpes Zoster Erkrankung, eine neurodermale (= Nerven und Haut betreffende) Infektions- krankheit. Der Erreger ist der Herpes-Varizellen-Virus.
Der Name Zoster kommt aus dem Griechischen und bedeutet "Gürtel" entsprech- end der gürtelförmigen Haut- ausbreitung am Körperstamm. Aus diesem Grund wird die Krankheit auch als Gürtelrose bezeichnet.

Der Herpes zoster befällt überwiegend die Nerven- segmente der unteren Brust- wirbelsäule, seltener den Gesichts- bzw. Kopfbereich. Die Erkrankung beginnt mit brennenden, juckenden Nervenschmerzen im Bereich der befallenen Nervensegmente und geht mit Sensibilitätsstörungen einher. Schon die Berührung der Haut im befallenen Bereich verursacht starke Nervenschmerzen (eine sog. Allodynie). Einige Tage später bilden sich Hauterscheinungen wie rote Flecken, Pusteln und Papeln aus. Diese sog. Effloreszenzen heilen in der Regel nach 2 - 4 Wochen ab und normalerweise verschwinden dann auch die Schmerzen wieder.
Wenn der Nervenschmerz die Hauterscheinungen des Herpes zoster überdauert, meistens nach 4-6 Wochen, dann ist die Krankheit in eine Zoster-Neuralgie (postzosterische Neuralgie (PZN)) übergegangen.
Die Behandlung ist schwierig und sollte deshalb dem erfahrenen Schmerztherapeuten überlassen werden.

  • 4. Phantomschmerz:

Eine Nervendurchtrennung z.B. im Rahmen einer Amputation (durch Operation oder Unfall) kann zu Schmerzempfindung in einem Körperteil, der gar nicht mehr vorhanden ist, führen.

 

 

 

 

 

Diese Nervenschmerzen treten meist unmittelbar nach der Amputation auf. Es gibt jedoch immer wieder Fälle, bei denen sich Phantomschmerzen erst nach Jahren, in Ausnahmefällen sogar erst nach Jahr- zehnten, einstellten.
Die Angaben zu Schmerzperiodizität und Schmerzqualität lassen kein einheitliches Muster erkennen. Bei der Abfrage der Schmerzqualität dominieren Begriffe wie "brennend", "schneidend" und "wie eingeklemmt". Überwiegend wird ein attackenförmiger Schmerzverlauf ange- geben, wobei die Attacken minuten- bis tagelang dauern können. Bei fast allen Patienten mit Phantomschmerzen liegt eine klimatische Schmerzmodulation (= Änderung des Schmerzzustandes) vor. Bei Amputationen im Bereich der Beine stellen sich in der Regel später auch behandlungsbedürftige Beschwerden an kontralateralen (= gegenüberliegenden) Gelenken und an der Wirbelsäule ein, bedingt durch unphysiologische (= unnatürliche) Dauerbelastungen.
Besonders bei anfallsartigen, einschießenden Schmerzen sollten zur Behandlung Antikonvulsiva (= Mittel gegen das Anfallsleiden, aber auch bei bestimmten Schmerzen wirksam) versucht werden. Hin und wieder ist auch ein Therapieversuch mit Mitteln zur Muskelentspannung erfolgreich.
Unterstützend (selten als einzige Therapie ausreichend) haben sich schmerzdistanzierende Antidepressiva (= Mittel gegen Depressionen, aber auch bei Nervenschmerz hilfreich) sehr bewährt. Oftmals ist die therapeutische Lokalanästhesie (= Behandlung mit einem örtlichen Betäubungsmittel) in Form von häufig wiederholten Nerven- und Leitungsbetäubungen sehr hilfreich.

  • 5: Zentrale (= das Rückenmark / Gehirn betreffende) Störungen oder Schädigungen

Diese Störungen oder Schädigungen sind Ursache für Nervenschmerzen nach einer Querschnitts- lähmung und für den sog. Thalamusschmerz: Über den Mechanismus der Schmerzentstehung nach einer Querschnittslähmung ist wenig bekannt. 50% aller Patienten mit verletzungsbedingten Quer- schnittsläsionen klagen über störende Miss- empfindungen unterhalb der Verletzungsstelle. Immerhin 27% leiden unter Nervenschmerzen, vorwiegend im Bereich der Beine. Teilweise treten auch krampfartige, viszerale (= die Eingeweide betreffende) Nervenschmerzen im Bauchraum auf. Auch vom Verletzungssegment selbst können Schmerzen ausgehen, die oft auf eine Instabilität zurückzuführen sind. Diese Instabilität kann chirurgisch behoben werden.
Der Schmerzzustand nach einem kompletten Querschnitt wird auch als Deafferenzierungs- schmerz bezeichnet.

Zur Behandlung von Nervenschmerzen bei einer Paraplegie (= Lähmung der Beine) kann die kontinuierliche peridurale Blockade mit hilfreich sein. Die Einpflanzung des Katheters muss jedoch oberhalb des geschädigten Segments erfolgen. Bei Tetraplegie (= Lähmung der Beine und Arme) bedarf die kontinuierliche Periduralblockade oberhalb des geschädigten Segments wegen des erhöhten Risikos einer strengen Indikationsstellung (= Abwägung von Nutzen und Risiko).
Medikamentös können Carbamazepin (= ein Mittel gegen Epilepsie, aber auch bei Nervenschmerzen wirksam), Baclofen und schmerzdistanzierende Antidepressiva sowie Neuroleptika versucht werden. Gegen die unangenehme Spastik wirkt am besten Baclofen (z.B. Lioresal®). Falls bei oraler Gabe die Nebenwirkungen zu stark werden, kann die rückenmarknahe Verabreichung mittels eingepflanzter Pumpe (oder Port) in Erwägung gezogen werden. Mittel der 2. Wahl ist Sirdalud.

Beim Thalamusschmerz handelt es sich um ein sog. zentrales (= das Gehirn betreffendes) Schmerzsyndrom, ausgelöst durch Störungen oder Schädigungen in schmerzkontrollierenden Arealen des zentralen Nervensystems (Thalamus).
Hauptursache ist ein Schlaganfall (apoplektischer Insult). Die betroffenen Patienten klagen in der Regel über heftige Nervenschmerzen in der herdgekreuzten Körperhälfte. Die vorzugsweise brennenden Dauerschmerzen können sich attackenartig verstärken. Teilweise liegt eine Allodynie (= Schmerzauslösung durch an sich nicht schmerzhafte Reize) vor. Fast regelmäßig besteht eine Hyperpathie (= verzögerte Reizantwort, der Schmerz hält über Reizzeit hinaus an bei insgesamt erhöhter Reizschwelle).

Bei der neurologischen Untersuchung findet sich eine Hemiparese (= Halbseitenlähmung) mit meist guter Rückbildungstendenz. Motorische (= die Muskelkraft betreffende) Störungen (Chorea (= sog. Veitstanz), Athetose (= Haltungs-, Tonus- u. Bewegungsstörung)) kommen vor, ebenso die sogenannte Thalamushand nach Pöck (die Finger sind im Grundgelenk gebeugt und in den Interphalangealgelenken (= Mittelgelenken) überstreckt, sie zeigen eine Bewegungsunruhe; die Fehlstellung gleicht sich beim Auflegen der Hand auf eine feste Unterlage aus) und eine meist gering ausgeprägte Ataxie (= funktionelle Störung der Bewegungsabläufe).
Der Nachweis der zugrunde liegenden Störung oder Schädigung ist durch Computertomographie, Angiographie (= Gefäßdarstellung mit Röntgenstrahlen) und Kernspintomographie möglich.
Die Behandlung ist selbst für den erfahrenen Schmerztherapeuten eine grosse Herausforderung.
Medikamentös kann Carbamazepin in aufsteigender Dosierung bis zu 1500mg /Tag versucht werden. Gabapentin wirkt oft besser, ist aber auch deutlich teurer. Phenytoin soll ebenfalls schmerzlindernd sein. Teilweise sahen wir auch mit Baclofen (= ein im Rückenmark / Gehirn wirkendes Mittel zur Muskelentspannung) eine günstige Wirkung. Ansonsten bleibt oft nur die Verschreibung von Opiaten.
Teilweise können aber mit der therapeutischen Lokalanästhesie (= Behandlung mit einem örtlichen Betäubungsmittel) beachtliche Erfolge erzielt werden. Nach Austestung mittels diagnostischer Blockaden werden im Extremitätenbereich wiederholte Plexus brachialis-, N. femoralis- und/oder Ischiadikusblockaden durchgeführt, oft sind sie längerfristig nur in der kontinuierlichen Form mit Katheter erfolgreich. Bei Mitbeteiligung des Gesichtes kommen wiederholte Blockaden der betroffenen Trigeminusäste in Frage.

Angesichts eines "zentralen Schmerzes" (= Schmerz, der im Rückenmark / Gehirn entsteht) erscheint die Durchführung von Nervenblockaden zugegebenermaßen paradox. Es wurde jedoch festgestellt, dass bei ca. 40-50% der betroffenen Patienten diese Therapie tatsächlich anspricht und zu einer Schmerzlinderung führt. Möglicherweise wird durch die zentrale Läsion (= Störung/Schädigung) teilweise ein peripheres (= mehr oberflächliches) Schmerzsyndrom herbeigeführt, vielleicht indem neurobiologische Mechanismen der Perzeption (= Empfindung,Wahrnehmung) durch das efferente sympathische System (= weggeleitete Erregungen im unwillkürlichen Nervensystem) mehr oder weniger ausgeprägt aktiviert werden. Für eine Beteiligung des sympathischen Systems sprechen auch Studien, wonach Schmerzen in Arme und Beine nach einer Störung/Schädigung des Zentralnervensystems (= Rückenmark und Gehirn) durch Sympathikusblockaden beseitigt oder gelindert werden können. Da die Nervenstämme ((besonders Plexus brachialis (= Nervengeflecht des Armes)) auch vegetative, sympathische Fasern mit sich führen, kann eine solche Wirkung postuliert werden.

 

 

 


- Datenschutzerklärung -